Annett Leisau

„Kindertageseinrichtungen sollten so gestaltet sein, dass sie im Rahmen der Inklusion für alle Kinder eine förderliche und anregende Umgebung bieten (Landesamt für Soziales, Jugend und Versorgung, 2010, S. ).

In der Pädagogik ist es mittlerweile unumstritten, dass die Lernumgebung einen ganz besonders großen Einfluss auf die Bildungsprozesse von Kindern hat. Räume können Möglichkeiten eröffnen oder Möglichkeiten begrenzen. Räume, in denen sich Kinder wohlfühlen und sich gemeinsam oder auch mal alleine beschäftigen können in denen sie Neugier entwickeln und Spielideen kreieren, geben Kindern die Chance, sich umfangreich zu entfalten.

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Räume für Kinder werden meist lichtdurchflutet und farbig gestaltet. In inklusiv gestalteten Räumen stehen den Kindern neben den typischen Möbeln (Tische, Stühle, Schränke etc.) oft auch Höhlen, Podeste, Sessel oder Kuschelliegen, spezielle Bau-, Kuschel-, Träum- und Leseecken zur Verfügung. So können sie – trotz möglicher Einschränkungen – ihren jeweiligen Vorlieben nachgehen und neue Interessen entwickeln. Daneben orientieren sich Raumangebot und Ausstattung inklusiver Kindertageseinrichtungen an pflegerischen und therapeutischen Aufgaben der Fachkräfte, was eine pädagogische Differenzierung und Kleingruppenarbeit ermöglicht (vgl. Deutscher Paritätischer Wohlfahrtsverband, 2015, S. 33). Neben einer vorgegebenen Raumgröße und dem gesetzlich verankerten Lärmschutz stellt die inklusive Pädagogik zusätzliche Anforderungen wie z. B. barrierefreie Zugänge auch zu Nischen- und Rückzugsplätzen oder auch behindertengerechte Sanitäranlagen.

Räume sollen für die Kinder Begegnungs-, Erfahrungs- und Lernbereiche bieten, die einerseits generellen entwicklungsspezifischen Aspekten entsprechen, andererseits dem aktuellen Entwicklungsstand und den Bedürfnissen der einzelnen Kinder gerecht werden. Gerade die Möglichkeit, auch mal allein spielen zu können, genießen Kinder sehr. Daneben muss es auch immer Spielangebote geben, an denen sich mehrere Kinder beteiligen können. Kinder benötigen Spielzeug und Material, das zu sozialen Aktivitäten einlädt, die einen nachhaltigen positiven Einfluss auf die aktive soziale Beteiligung von Kindern mit Behinderung in der Gruppe hat (Nowak, 2013, S. 9 f.).

Durch Schaukeln oder Liegen in der Hängematte, durch Balancieren über eine Schräge, das Hochklettern an einer Sprossenwand oder das Springen auf dem Trampolin kann ein Kind seine Körpersinne ausprobieren und fördern – mit und ohne Unterstützung, je nach den eigenen körperlichen Voraussetzungen. Entsprechende Ausstattung wie schiefe Ebenen und Deckenhaken zur Aufhängung von Hängematten oder Schaukeln sollten in jedem Gruppenraum, im Neben- oder Bewegungsraum vorhanden sein und von den Kindern täglich genutzt werden können. „Fachkräfte in Tageseinrichtungen können sich durch Ergotherapeut/-innen fachkompetent hinsichtlich der Raumausstattung beraten lassen“ (Nowak, 2013, S. 11).

Eine weitere wichtige Voraussetzung, damit sich alle Kinder in der Gruppe wohl und zugehörig fühlen können, ist eine Umgebung, in der sich jedes Kind wiederfinden kann. Kinder sind bereits in frühen Jahren sensibel dafür, ob ihre Lebenswelt, ihre Familie, ihre Sprache und Kultur ihren Bezugspersonen als richtig und wichtig erscheint oder nicht. Der Verband binationaler Familien und Partnerschaften iaf e. V. NRW hat bereits Anfang der 2000er-Jahre in seiner Veröffentlichung „WeltkinderSpiele“ darauf hingewiesen, dass die fehlende Repräsentanz von Menschen, Kulturen und Sprachen, die nicht der Mehrheitsgesellschaft angehören, in Gruppenräumen die üblichste Form der Diskriminierung ist (vgl. Leisau, 2010).

Eine Möglichkeit, alle Kinder zu repräsentieren, sind beispielsweise die „Das-bin-ich“-Bücher, die die Kinder gemeinsam mit ihren Eltern gestalten können. Das könnten z. B. A4-Blätter sein, die in der Mitte gefaltet und mit einem Band zusammengehalten werden. Die einzelnen Seiten können dann von Kindern und Eltern ganz individuell mit Bildern und kleinen Geschichten gestaltet werden und zeigen somit die gesamte Bandbreite der unterschiedlichen Kinder und ihrer Familien.

Eine andere Möglichkeit ist eine „Das-sind-wir“-Wand im Gruppenraum, die mit Hilfe von Bildern und kleinen Erzählungen zeigt, wie die Kinder aufwachsen, was ihnen und ihrer Familie wichtig ist und was sie im Kindergarten erleben. Auch hier sollte sich die große Vielfalt wiederfinden, die es in der Einrichtung gibt: Kinder und Erwachsene jeden Geschlechts, mit verschiedenen Haut-/Haarfarben, Kinder mit und ohne Behinderung und mit ihren ganz unterschiedlichen Familienkonstellationen bei verschiedenen Aktivitäten. Für diese „Das-sind-wir-Wände“ können beispielsweise Korkplatten in Augenhöhe der Kinder angebracht werden, an den die Bilder und Geschichten dann angepinnt werden.

In Einrichtungen, die von vielen Kindern mit Migrationshintergrund besucht werden, können sich durch einen mehrsprachigen Willkommensgruß, das Anbringen einer Weltkarte mit Stecknadeln oder Fähnchen in den Herkunftsländern der Familien oder auch durch das Basteln von verschiedenen Fahnen, die das Herkunftsland der Familien repräsentieren, alle Kinder und Familienangehörige willkommen und dazugehörig fühlen. In der Verkleidungsecke finden sich farbenfrohe Tücher aus Indien, Stoffe und Kleidungsstücke aus verschiedenen Ländern, im Kaufmannsladen gibt es die unterschiedlichsten Produkte und in der Puppenecke finden sich verschiedene Puppen, ein russischer Samowar oder türkische Teegläser.

Daneben kann auch ein Elterncafé oder eine Elternecke einladend wirken und Kontakte zwischen den Familienangehörigen entstehen lassen. Hier können Materialien wie Flyer in verschiedenen Sprachen oder mehrsprachige Informationen über vergangene und bevorstehende Veranstaltungen angeboten werden.

Inklusive Spielmaterialien

In inklusiv arbeitenden Einrichtungen müssen die verschiedenen Spiel- und Lernmaterialien so gewählt werden, dass sie die Entwicklung aller Kinder frühzeitig anregen und fördern. Dies trifft zum Beispiel auf Materialien zu, die die Entwicklung der Körpersinne (Tastsinn, Tiefensensibilität und Gleichgewichtssinn) ansprechen und hierdurch die Ausbildung aller weiteren Kompetenzen unterstützen (vgl. Nowak, 2013, S. 11). Für Kinder ist es von großer Bedeutung, dass sie mit unterschiedlichen Materialien umgehen und diese erforschen können, z. B. Rasierschaum, Sand, Matsch, Kleister und Bohnen. Wenn Kindern verschiedene Kästen mit den unterschiedlichsten Materialien angeboten werden, haben sie die Chance, hineinzugreifen, darin „rumzupanschen“, Materialien zu vermischen und zu spüren, ob und wie sich Materialien verändern, wenn man sie auf den Armen verteilt oder zwischen den Händen verreibt. Dadurch wird die Tiefensensibilität angesprochen. Diese Tiefensensibilität wirkt auf die tieferen Hautschichten, Muskeln und Gelenke. Zu solchen Erfahrungen führt z. B. auch das „Baden“ im Kastanien- oder Bällebad.
Für Kinder ist es darüber hinaus wichtig, dass sie Einrichtungsgegenstände sowie Spiel- und Lernmaterialien finden, die an ihre Lebens- und Erfahrungswelt anknüpfen und die eben nicht nur Aussehen, Sitten und Gebräuche der „gesunden“ Mehrheitsgesellschaft repräsentieren. Allerdings demonstrieren viele Puppen, aber auch die Akteure in Bilderbüchern oder die Stifte, die als Hautmalfarben benutzt werden können, häufig noch den Typus der Mehrheitsgesellschaft – nämlich den des hellhäutigen Westeuropäers – und in der Regel ohne Behinderung. Daneben sind in der Regel auch die üblichen Gegenstände des Alltags (z. B. der Kaufmannsladen mit seinen Gütern und die Gestaltung der Puppen- oder Bauecke) zumeist Nachbildungen der Mehrheitsgesellschaft.

Übrigens: Das Wohlbefinden der Kinder, ihre Bereitschaft, sich auf Neues einzulassen, etwas auszuprobieren, hängt ganz entscheidend davon ab, wie angenommen, wie sicher und geborgen sie sich fühlen. Daher ist es im Zuge einer inklusiven Pädagogik von großer Bedeutung, die eigene Einrichtung, das Spielmaterial und die Lernumgebung dahingehend zu überprüfen, ob jedes Kind sich wiederfinden kann und kein Kind ausgegrenzt wird oder sich ausgegrenzt fühlt. Deshalb ist es wichtig, dass pädagogische Fachkräfte immer wieder kritisch auf die eigene Einrichtung und die Raumgestaltung sowie auf die angebotenen und genutzten Spiel- und Lernmaterialien schauen.

Quellen:

Deutscher Paritätischer Wohlfahrtsverband (Hrsg.) (2015): Rahmenbedingungen für inklusiv arbeitende Kindertageseinrichtungen. http://www.der-paritaetische.de/fileadmin/user_upload/Publikationen/doc/anforderungskatalog_kita-inklusiv.pdf (zuletzt geprüft: 27.0.2020). Berlin.
Landesamt für Soziales, Jugend und Versorgung (2010): Raumkonzepte für Kindertagesstätten in Rheinland-Pfalz. Mainz: Eigendruck.
Leisau, A. (2012): Kindergärten für Weltenkinder. Zur interkulturellen Pädagogik im Elementarbereich. https://www.kindergartenpaedagogik.de/1525.html (zuletzt geprüft: 27.07.2017).
Nowak, S. (2013): Die Rolle der pädagogischen Fachkraft im inklusiven Prozess. https://www.kita-fachtexte.de/uploads/media/KiTaFT_Nowack_2013.pdf (zuletzt geprüft: 27.07.2020)

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