Annett Leisau

Für viele Kinder mit Migrationshintergrund ist der flexible Umgang mit zwei oder mehr Sprachen von klein auf Normalität. Sie nutzen für die familiäre Kommunikation die Herkunftssprache oder die Herkunftssprachen ihrer Eltern. Außerhalb der Familie, zum Beispiel im Kindergarten, passen sich die Kinder den sprachlichen Anforderungen der Mehrheitsgesellschaft an und sprechen (überwiegend) deutsch.

Für viele Kinder mit Migrationshintergrund ist der flexible Umgang mit zwei oder mehr Sprachen von klein auf Normalität.
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Gruppe der mehrsprachigen Kinder sehr heterogen

Dieses Aufwachsen in und mit zwei oder mehreren Sprachen ist etwas, das alle Kinder mit Migrationshintergrund, die mehrsprachig aufwachsen, verbindet und sie von einsprachig aufwachsenden Kindern unterscheidet. Andererseits stellt sich die Gruppe der mehrsprachigen Kinder mit Migrationshintergrund als sehr heterogen (und vielfältig) dar. Die Kinder unterscheidet sich sowohl im Zeitpunkt des kontinuierlichen Kontakts mit der Zweitsprache als auch in der jeweiligen Kompetenz, die sie in einer oder mehreren Sprachen erreichen. Dies kann – neben einem Talent zum Erwerb von Sprachen – hauptsächlich mit unterschiedlichen soziokulturellen Bedingungen begründet werden, denen die Familien unterworfen sind. Auch die Bedürfnisse der Eltern (und mit zunehmendem Alter auch die Bedürfnisse der Kinder) sind von entscheidender Bedeutung für die Frage wann und in welcher Intensität die Kinder mit den verschiedenen Sprachen in Kontakt kommen und für wie wichtig die Zweitsprache Deutsch in der Familie angesehen wird.

Die Kinder mit Fluchterfahrung stellen hier eine spezielle Gruppe dar. Sie sind in einem anderen Land mit der dort jeweils vorherrschenden Sprache aufgewachsen. Kontakt zur deutschen Sprache haben Sie erst mit der Ankunft in Deutschland bekommen. Sie haben vor dem Eintritt in den Kindergarten so gut wie kein deutsches Wort gehört und schon gar nicht gesprochen.

Einstellungen zur Mehrsprachigkeit

Für die spätere individuelle Beherrschung mehrerer Sprachen spielen die Umstände des Spracherwerbs eine ganz besonders wichtige Rolle. Wie reagiert das Umfeld auf die verschiedenen Sprachen, wie gestalten sich die Kontexte, in denen die Kinder die verschiedenen Sprachen benutzen? Hierzu gehört selbstverständlich auch die gesellschaftliche Einstellung zur Zweisprachigkeit im Allgemeinen und zu jeder der Sprachen im Besonderen. Gerade im Zusammenhang mit einer familiären Flucht und/oder Migration scheint sich die Einstellung des gesellschaftlichen Umfeldes, die Art und Weise also, ob die jeweilige Erst- oder Zweitsprache einer Person als eine Kompetenz, eine Fähigkeit anerkannt wird, neben den individuellen kognitiven Kompetenzen auf die Motivation der lernenden Person auszuwirken.

Diese gesellschaftliche und auch die persönliche Einstellung zu Mehrsprachigkeit spiegelt sich auch im Kindergarten wider. Was empfinden die Fachkräfte, wenn Kinder miteinander in einer anderen Sprache als Deutsch sprechen. Ab welchem Zeitpunkt erwarten die Fachkräfte, dass zunehmend deutsche Wörter bei der Kommunikation genutzt werden. Was denken Fachkräfte, wenn Kinder ohne Kenntnisse in der deutschen Sprache in den Kindergarten kommen, obwohl die Eltern schon viele Jahre in Deutschland leben?

Umgesetzt in die Kita-Praxis sollten sich pädagogische Fachkräfte fragen, ob und wie die Mehrsprachigkeit der Kinder sichtbar wird. Wird die Mehrsprachigkeit als Kompetenz, als Potential eines Kindes angesehen oder er als Hemmnis für die Deutschsprachentwicklung. Bauen Fachkräfte aktiv und ganz bewusst Möglichkeiten ein, so dass Kinder ihre anderssprachigen Kenntnisse anwenden und demonstrieren können? So könnte z. B. die Vokabeln für Speisen (Kartoffeln, Reis, Bohnen) und Getränke oder auch für das Wetter (Sonne, Regen, Wolken) in verschiedenen Sprachen vorgestellt werden. Auch das Zählen der anwesenden Kinder könnte in verschiedenen Sprachen durchgeführt werden.

Mehrsprachigkeit und kulturelle Identität

Der Umgang mit verschiedenen Sprachen erfordert aber nicht nur Kenntnisse des kindlichen (Mehr-)Spracherwerb, sondern auch eine Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Denksystemen: „Eine Sprache, ein Mensch – zwei Sprachen, zwei Menschen“, sagt ein türkisches Sprichwort.

Jede Sprache ist ein Teil einer Kultur und so mit einer eigenen Lebensart, mit eigenen Traditionen, Werten und Gefühlen verbunden. Kinder, die mehrsprachig aufwachsen, erwerben mit jeder weiteren Sprache auch Teile einer weiteren Kultur, die ihre Identität mitprägt. Dies kann sie darin unterstützen, andere Menschen besser zu verstehen und sich in sie hinein zu versetzen. Mehrsprachigkeit ist eine Kompetenz, die wir in einer zusammenwachsenden Welt in Zukunft immer stärker benötigen.

Methoden des Mehrspracherwerbs

Eltern sind häufig unentschlossen, in welcher Sprache sie mit ihren Kindern kommunizieren sollen – gerade dann, wenn innerhalb der Familie mehrere Sprachen gesprochen werden oder wenn ein Elternteil mehrere Sprachen beherrscht. Auf diese Frage gibt es keine pauschale Antwort. Am besten wäre es, wenn Eltern mit ihren Kindern die Sprache sprechen, die sie am besten beherrschen. Wenn die Entscheidung für die Weitergabe der Familiensprache fällt, können Eltern verschiedene familiäre Strategien zur Vermittlung nutzen.

Eins vorneweg: Es gibt nicht DIE Strategie zum familiären Umgang mit Zwei- oder Mehrsprachigkeit. Jede Familie entwickelt ihre eigene Strategie.

  • Einige Eltern sprechen konsequent jeweils in einer Sprache mit den Kindern. Dieses Verfahren ist unter der Bezeichnung eine Sprache – eine Person bekannt.
  • Andere Eltern sprechen zu Hause mit ihren Kindern konsequent in der einen Erstsprache, nutzen aber außerhalb des Hauses (oder in bestimmten familiären Situationen) die Umgebungs- oder eine weitere Sprache. Diese Methode wird als eine Situation – eine Sprache bezeichnet. Die zweite Strategie kommt automatisch auch immer dann zum Tragen, wenn Eltern (noch) nicht über ausreichende Deutschkenntnisse verfügen – wie geflüchtete Eltern beispielsweise.

Beide Strategien können zu einem guten Ergebnis führen. Wichtig ist, dass das Kind in beiden Sprachen ausreichende Sprechanlässe erhält, um die jeweilige Sprache in einem großen Umfang erwerben zu können.

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