Annett Leisau

Wenn Kinder geboren werden, entscheiden zuallererst einmal die Eltern über die zukünftige Sprache der Kinder. Dabei fällt diese Entscheidung bei einsprachigen Eltern ganz automatisch. Sie „müssen“ sich für ihre Sprache – also für die Sprache, die sie gut können und in der sie sich wohlfühlen – entscheiden, denn eine andere haben sie nicht zur Verfügung.

Eltern, die entweder jeder eine eigene Sprache sprechen (z. B. Mutter spricht polnisch, Vater deutsch) oder auch die Eltern bei denen ein Elternteil mehr als eine Sprache fließend spricht, haben die Wahl, welche Sprache(n) sie ihrem Kind weitergeben wollen. Schon diese Entscheidung fällt vielen Eltern schwer. Gerade wenn sie auch über gute deutschsprachige Fähigkeiten verfügen, wollen Sie ihrem Kind zwar einerseits die Familiensprache mit auf den Lebensweg geben, andererseits möchten sie ihnen aber auch den zukünftigen Kindergarten- und Schulbesuch durch bereits weitergegebene gute Deutschkenntnisse erleichtern.

Eltern, die mehrere Sprachen beherrschen, haben die Wahl, welche Sprache(n) sie ihrem Kind weitergeben wollen.

Sprachwissenschaftlich gesehen werden in Zusammenhang mit Mehrsprachigkeit verschiedene Worte benutzt.

Erstsprache– Zweitsprache– Fremdsprache?

Erstsprache

Eins vorne weg: Ein Kind kann mehrere Erstsprachen haben.

Die Sprache oder die Sprachen, mit der oder denen Kinder als erstes – das heißt innerhalb der ersten zwei Lebensjahre – in intensiven Kontakt kommen, wird Erstsprache genannt. Um es noch einmal ganz deutlich zu sagen: Erstsprache(n) ist/sind alle die Sprachen, die das Kind in den ersten zwei Lebensjahren in einem großen Umfang zu hören bekommt. Meist handelt es sich hierbei um die Familiensprache – also die Sprache, mit deren Hilfe in der Familie kommuniziert wird. Aber wenn ein Kind, das zu Hause kein deutsch spricht, vor dem 2. Lebensjahr in den Kindergarten und somit mit der deutschen Sprache in Berührung kommt, dann ist auch die neu hinzugekommene deutsche Sprache eine Erstsprache des Kindes.

In seiner Erstsprache bewegt sich das Kind ganz natürlich. Die mitschwingenden Gefühle und die non-verbalen Äußerungen wie Mimik und Gestik, Intonation, Sprechrhythmus, Körperbewegungen übernehmen dabei gerade für den frühen Spracherwerbsprozess der Kinder ganz zentrale Aufgaben. Da Eltern oder pädagogische Fachkräfte in der Kommunikation eben nicht nur die bedeutungstragenden Inhalte sondern auch Emotionen und Gefühle vermitteln, ist es wichtig, dass sie sich im Umgang mit der genutzten Sprache sicher fühlen. Im anderen Fall würden sie durch langes Suchen nach passenden verbalen Äußerungen, die Verbindung zwischen Handlungssituation und sprachlicher Zuwendung zerstören. Eltern sollten daher in jedem Fall für die frühe Kommunikation mit ihrem Kind  die Sprache nutzen, die sie sicher und umfassend beherrschen, in der sie sich wohl fühlen und authentisch sein können.

Durch gestiegene Migrations- und Flüchtlingszahlen nimmt die Zahl der Kinder, die von Beginn an mit zwei Sprachen aufwachsen, in den letzten Jahren zu. Erwerben Kinder innerhalb der ersten zwei Lebensjahre sprachliche Strukturen aus zwei Sprachen, wird von einem simultanen Erstspracherwerb, Bilingualität oder auch Doppelspracherwerb gesprochen – die Kinder wachsen bilingual auf. In der Regel zeigen Kinder unterschiedliche Sprachkompetenz in den verschiedenen Erstsprachen, die eigene Familiensprache ist in der Regel anfangs die dominante Sprache, die besser beherrscht wird.

Man geht davon aus, dass ein Kind eine zweite Sprache vor dem dritten Lebensjahr auf die gleiche Art und Weise wie die aller erste Sprache lernt, deshalb können diese Sprachen unter dem Begriff Erstsprache zusammengefasst werden.

Zweitsprache

Wenn Kinder die Sprache, die in der umgebenden Gesellschaft gesprochen wird, nach dem 2. Geburtstag erlernen, wird von einem sukzessiven (also nachrangigen) Zweitspracherwerb gesprochen. Dies betrifft viele Kinder mit Migrationshintergrund, nämlich diejenigen, die zu Hause ihre Familiensprache gesprochen haben und nun – mit 2 oder 3 Jahren – ohne Deutschkenntnisse in den Kindergarten kommen. Dies betrifft auch die meisten Kinder mit Fluchterfahrung, denn sie kommen mit einer oder zwei Sprachen aus ihrem Heimatland und stoßen hier im Kindergarten auf die deutsche Sprache.

Im Kindergarten wird die Zweitsprache Deutsch ganz natürlich im Alltag, im täglichen Miteinandersprechen erworben. Die Kinder verbringen einen großen Teil des Tages in einem Kontext, der überwiegend deutschsprachig stattfindet und benötigen eigentlich alle Worte und Regeln der „neuen“ Sprache vom ersten Augenblick an.

Fremdsprache

Der Fremdspracherwerb ist in der Regel mit einem expliziten Unterricht verbunden. Hier steht nicht die direkte Kommunikation in einer anderssprachigen Umgebung im Mittelpunkt. Vielmehr werden Fremdsprachen nach einer klaren Struktur gelernt. Das Lehrbuch ist themenbezogen aufgebaut, die jeweils benötigten Vokabeln und grammatischen Strukturen werden Lektion für Lektion erworben.

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